Genauso alltäglich wie die Klimaproteste sind mittlerweile Bürger, die sich davon gestört fühlen. Besonders im Straßenverkehr kommt es deshalb immer wieder zu Handgreiflichkeiten gegen die Aktivisten. Doch wer Gewalt gegen „Klimakleber“ anwendet, kann sich nicht nur strafbar machen – unter Umständen droht auch der Entzug der Fahrerlaubnis. Doch welche Fälle betrifft das genau und existiert dafür eine pauschale Regelung?

Protestmarsch und Straßenblockade am Wiener Naschmarkt 2023, von Ki7sun3, CC BY-SA 4.0

Die Letzte Generation, insbesondere die sogenannten Klimakleber, polarisieren nach wie vor und sorgen für hitzige Diskussionen in der Gesellschaft. Auch wenn die Aktionen einen wichtigen Hintergrund haben, gehört eben auch zur Wahrheit, dass sich diejenigen, die von diesen Aktionen betroffen sind, zunehmend provoziert fühlen und daher auch Selbsthilfemaßnahmen ergreifen. Dabei kann es auch zu Straftaten gegenüber den Klimaaktivisten kommen, die möglicherweise zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach
§ 69 Strafgesetzbuch (StGB) führen könnten. Die Gerichte bewerten die Blockadeaktionen als Gewalt im Sinne des Nötigungstatbestands (§ 240 StGB) auf Grundlage der vom Bundesgerichtshof (BGH) geprägten “Zweite-Reihe-Rechtsprechung”.

Einzelfallbetrachtung hinsichtlich der Nötigung entscheidend

Diese Rechtsprechung wurde jedoch als dogmatisch kaum überzeugend kritisiert. Denn es kann durchaus argumentiert werden, dass die bloße Anwesenheit von Demonstranten auf der Fahrbahn nicht als Gewalt zu werten ist, solange sie nur als psychische Hemmung auf die Fahrer wirke, die Demonstranten nicht zu überfahren. Ab der “zweiten Reihe” der Genötigten wirke jedoch nicht nur die innere Hemmung, sondern auch das vorne stehende Fahrzeug (mittelbar) als physische Sperre. Das Fahrzeug fungiere also als Werkzeug einer von den Demonstranten mittelbar ausgeübten Gewalthandlung gegen die zweite und alle weiteren Reihen. Eine Notwehrhandlung setzt gemäß § 32 Abs. 2 StGB einen rechtswidrigen Angriff voraus. Damit eine Nötigung rechtswidrig ist, muss sie gemäß § 240 Abs. 2 StGB zusätzlich als verwerflich qualifiziert werden können. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Bedeutung der grundrechtlichen Versammlungsfreiheit in diesem Zusammenhang betont. Danach sei die Verwerflichkeit und die Rechtswidrigkeit von Blockadeaktionen sowie die Möglichkeit einer Notwehr gegen diese Aktionen, keineswegs eindeutig festgelegt.

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Die Frage der Verwerflichkeit von Blockadeaktionen erfordert eine genaue Einzelfallbetrachtung und es gibt gute Gründe, die in solchen Fällen gegen eine eindeutige Beurteilung sprechen. Die Anwendung von Notwehr ist zudem auf Verteidigungsmaßnahmen beschränkt, die im erforderlichen Ausmaß erfolgen müssen. Auf Social-Media-Plattformen tauchen immer wieder Videos auf, die offensichtlich zeigen, dass diese Grenze überschritten wird. Zum Beispiel, wenn ein Fahrer einen Protestierenden von der Straße zieht und ihm anschließend durch einen gezielten Tritt in den Bauch Gewalt antut. In solchen Fällen kann eine legitime Notwehrausübung nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden. Kfz-Führer müssen sich stets bewusst sein, dass sie sich, egal wie groß der Ärger über die Klimakleber auch sein mag, wegen Nötigung und Körperverletzung strafbar machen können, wenn sie handgreiflich werden. Tatsächlich verfolgen Staatsanwaltschaften mittlerweile eine Reihe solcher Verfahren. Personen, die solche Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begehen, müssen sogar damit rechnen, dass ihre Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB entzogen wird.

Unser StGB verfügt über ein zweigleisiges Sanktionssystem, das neben Strafen auch Maßregeln der Besserung und Sicherung kennt. Diese Maßregeln verfolgen präventive Zwecke und sollen die Allgemeinheit vor gefährlichen Tätern schützen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB ist in der Praxis die bedeutendste Maßregel. Die Straßenverkehrsordnung (StVO) fordert für die Teilnahme am Straßenverkehr eine ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht (§ 1 Abs. 1 StVO). Daher sollen Personen, die nicht über die notwendige Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs verfügen und somit die Gefahren im Straßenverkehr nicht beherrschen können, nicht am Straßenverkehr teilnehmen. In Bezug auf die Frage, ob Kfz-Führer, die ihr Fahrzeug verlassen, um sich in strafbarer Weise gegen Protestierende zur Wehr setzen und ihre Fahrt fortsetzen, die Fahrerlaubnis entzogen werden soll, sieht § 69 Abs. 1 StGB kein Ermessen vor. Daher ist Klarheit erforderlich hinsichtlich der Frage, ob die Fahrerlaubnis in solchen Fällen entzogen werden kann.

Zusammenhang zwischen Tat und fehlender Eignung erforderlich

Der BGH stellte schon 2005 klar, dass § 69 StGB kein allgemeines Kriminalitätsbekämpfungsmittel darstellt, sondern allein der Sicherheit des Straßenverkehrs dient (Beschl. v. 27.04.2005, Az. GSSt 2/04). Zwischen der Tat und der fehlenden Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr müsse deshalb ein gefahrspezifischer Zusammenhang bestehen. Dieser sei dann gegeben, wenn angenommen werden könnte, dass der Täter die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Interessen unterordnet. Obwohl eine Argumentation dahingehend möglich wäre, dass Personen, die sich zu Gewalttaten hinreißen lassen, wohl nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 1 StVO gewachsen sind, bleibt stehts zu bedenken, dass der Entzug der Fahrerlaubnis einen Eingriff in grundrechtliche Positionen bedeuten. Der § 69 Abs. 1 StGB muss daher restriktiv ausgelegt werden. Schließlich darf nicht jede Straftat dazu führen, dass die Fahrerlaubnis entzogen wird.

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Wann liegt gravierendes Fehlverhalten vor?

Handelt es sich also um ein gravierendes Fehlverhalten, wenn jemand Gewalt gegen Klimakleber anwendet? Wenn die gewaltanwende Person gegen die Aktivisten vorgeht, um den fließenden Verkehr wiederherzustellen, ist ein gravierendes Fehlverhalten wohl zu verneinen. In solchen Fällen wird, von der Straftat gegen die Aktivisten als solche unabhängig, nicht mit dem Entzug der Fahrerlaubnis zu rechnen sein. Anders gelagert ist der Fall aber dann, wenn die Person mit der Tat nicht nur die Fahrt fortsetzen will, sondern das Kfz auch als Tatmittel einsetzt. Dann dürfte auch eine Anwendung des § 69 StGB vertretbar sein. Dann kann unter Umständen angenommen werden, dass der erforderliche notwendige spezifische Zusammenhang vorliegt. Ebenso könnte ein solcher Zusammenhang dann angenommen werden, wenn der Täter die Gewalt gegen Aktivisten nur anwendet, um seinen Hass gegen diese ausüben zu können. Wie schon oben festgestellt: Es bedarf der Einzelfallbetrachtung. In den „üblichen“ Fällen der Gewaltanwendung gegen die Klimakleber – wenn die Gewalt nur angewendet wird, um weiterfahren zu können – wird § 69 StGB wohl aber noch keine Anwendung finden.

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