Nicht immer kann man seine Urlaubstage gleichmäßig über das Jahr verteilen. Es kommt durchaus vor, dass man noch Urlaub mit in das nächste Kalenderjahr nimmt. Doch ab wann kann der Anspruch auf die Urlaubstage verjähren? Der EuGH-Generalanwalt hat zu dieser Frage nun seine Schlussanträge gestellt. Seiner Auffassung nach muss der Arbeitgeber zunächst über das mögliche Erlöschen informieren.

Der EuGH entscheidet aktuell über einen deutschen Fall, in denen es insbesondere um Resturlaub aus vorigen Kalenderjahren geht. Normalerweise sollte ein Jahresurlaub natürlich im aktuellen Jahr genommen werden. Geschieht dies aber nicht, muss der Arbeitgeber über das mögliche Verfallen des Urlaubsanspruchs nach Ansicht des Generalsanwalts am Europäischen Gerichtshof (EuGH), Jean Richard, ausdrücklich informieren. Erst dann könne eine Verjährungsfrist für den Urlaubsanspruch beginnen (Schlussanträge v. 05.05.2022, Rechtssache C-120/21).

Nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzesbuch (BGB) verjähren die meisten Ansprüche nach drei Jahren. Entscheidend kann dabei dann oft die Frage sein, ab wann die Verjährungsfrist von drei Jahren denn zu laufen beginnen. Um diese Frage stritten sich eine Steuerfachangestellte und ihr Arbeitgeber. Die Mitarbeiterin hatte im Jahr 2011 und in den Vorjahren ihre 24 Urlaubstage aufgrund des hohen Arbeitspensums in der Kanzlei nie komplett genutzt. Anfang 2012 bestätigte ihr die Kanzlei, dass ihre insgesamt 76 Resturlaubstage nicht am 31. März 2012 verfallen würden, wie es sonst üblich wäre. Aber auch in der Folgezeit nutzte die Steuerfachangestellte ihren Urlaub nicht und wurde dazu auch nicht aufgefordert. Der Arbeitgeber wies sie auch nicht darauf hin, dass ihr nicht genutzter Urlaub verfallen könnte. Später verlangte die Frau von der Kanzlei die Abgeltung von insgesamt 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren. Der Arbeitgeber verweigerte mit der Begründung, dass die Tage verfallen seien.

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Die Steuerfachangestellte klagte dagegen und bekam vom Arbeitsgericht Solingen und in der Berufung vom Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf zunächst Recht. Das LAG verurteilte den Arbeitgeber der Steuerfachangestellten über 20.000 Euro brutto zu zahlen.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) als Revisionsinstanz legte den Fall dann dem EuGH vor (Vorlagebeschl. v. 29.09.2020, Az. 9 AZR 266/20).

Was sagt der EuGH zu Urlaubsansprüchen?

Der EuGH in Luxemburg hatte sich in früheren Entscheidungen bereits mit der Verjährung und dem Ausschluss von Urlaubsansprüchen beschäftigt. Das BAG sieht darin aber keine eindeutige Antwort darauf, ob das deutsche Verjährungsrecht einfach so angewendet werden kann oder nicht. Denn zum einen ergebe sich aus der Rechtsprechung des EuGH, dass die Verjährung von Urlaubsansprüchen zur Sicherung des Rechtsfriedens nicht ausgeschlossen sei. Es gebe aber ebenso Anhaltspunkte dafür, dass der EuGH eine Anspruchsverjährung erst zulassen will, wenn der Arbeitgeber bzgl. des Urlaubs und des Verfalls seiner Aufforderungs- und Hinweispflicht nachkomme.

Zu dieser Frage hat nun der Generalanwalt Jean Richard vorgetragen, dass die Verjährungsfrist nicht ohne vorigen Hinweis des Arbeitgebers zu laufen beginnen könne. Nach dem deutschen Recht beginnt die Frist, sobald der Anspruchsberechtigte „Kenntnis“ von seinem Anspruch erlangt hat. Doch diese Kenntnis könne dem Arbeitnehmer erst unterstellt werden, wenn der Arbeitsgeber seiner Hinweispflicht nachgekommen ist. Eine rein theoretische Kenntnis des Arbeitnehmers könne dagegen keine Frist auslösen. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht innerhalb der im BGB festgelegten Frist geltend machen könnte. Der Arbeitnehmer könne seinen Urlaubsanspruch nämlich nur dann tatsächlich verwirklichen, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor angemessen und vollständig darüber informiert hat, wieviel Urlaub ihm zur Verfügung steht. Bei mehrfacher Übertragung von Urlaubsansprüchen – wie es vorliegend der Fall war – sei diese Information umso notwendiger.

EuGH und BAG müssen noch entscheiden

Der EuGH wird seine Entscheidung noch treffen müssen. Erfahrungsgemäß schließen sich die Richter allerdings häufig den Schlussanträgen der Generalanwälte an. Das hätte dann wohl national zur Folge, dass die Kenntniserlangung zum Auslösen von Verjährungsfristen unionsrechtskonform so ausgelegt werden müsste, dass diese nur nach besonderen Hinweisen der Arbeitgeber vorliegen kann. Im zu entscheidenden Fall hätte die Steuerfachangestellte dann einen Anspruch auf Abgeltung ihres nicht genutzten Urlaubs.

ses