Ist das sog. Sampling kurzer Tonfolgen für eigene Musikstücke zulässig? Seit über 20 Jahren streitet die Band „Kraftwerk“ mit Produzent Moses Pelham um die ungefragte Verwertung eines 2-Sekunden-Tonschnipsels. Nachdem der EuGH im Juli 2019 urteilte, entschied nun auch der BGH. Pelham durfte wohl bis 2002 legal samplen, danach nicht mehr. Ob er nun allerdings zahlen muss, muss jetzt das OLG Hamburg entscheiden.

Dürfen Hip-Hop-Musiker die Tonfetzen aus Musikstücken anderer Künstler ohne Erlaubnis sampeln und nutzen? Der EuGH sagte im Juli 2019: Ja, das Sampling kann erlaubt sein – allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Entschieden war der Fall damit aber noch nicht, da der EuGH damit den Spielball zurück nach Deutschland gab.

Und der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe urteilte am 30. April 2020, dass Musiker die Tonfetzen anderer Künstler – zumindest für die Zeit vor dem Jahr 2002 – wohl ohne Erlaubnis sampeln und nutzen durften, da es sich um eine nach damals geltendem Recht sog. “freie Benutzung” gehandelt haben dürfte. Moses Pelham durfte vor 2002 wohl den Kraftwerk-Song samplen. Wegen einer im Dezember 2002 eingeführten Richtlinie, die das Urheberrecht europaweit harmonisierte, unterschied der BGH zwischen der Rechtslage vor und nach der europäischen Harmonisierung. Seit 2002 ist das Sampling laut BGH indes nicht mehr erlaubt, denn seit dem komme es nicht mehr auf die Dauer des jeweiligen Audioschnipsels an, sondern alleine auf dessen Wiedererkennbarkeit. Und diese Wiedererkennbarkeit richte sich nach dem Hörverständnis eines durchschnittlichen Musikhörers. Im Falle Pelham hätten die Beklagten, so der BGH, die Rhythmussequenz zwar in leicht geänderter, aber beim Hören wiedererkennbarer Form in ihren neuen Tonträger übernommen. Damit hätte nach 2002 eine Vervielfältigung des Ursprungstonträgers vorgelegen und Pelham hätte die Erlaubnis Kraftwerks benötigt. Und auch das Zitatrecht helfe hier nicht, da es im Fall Pelham an einer Markierung für das Zitat fehle. Der BGH verwies den Fall allerdings erneut zurück an das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg.

Dieses muss nun prüfen, ob es nach 2002 überhaupt noch Vervielfältigungen des Songs gab. Davon hängt sodann ab, ob Pelham an Kraftwerk zahlen muss oder nicht (Az. I ZR 115/16). Ein Schlussstrich des nunmehr über 20 Jahre währenden Rechtsstreits ist damit in greifbarer Nähe. Am 28. April entscheidet das OLG zum dritten und letzten Mal – oder doch nicht? Sollte das OLG das Sample als Werk einordnen, muss die im Jahr 2021 im Zuge der Urheberrechtsreform eingeführte Schrankenregelungen berücksichtigt werden, die u.a. die Nutzung eines Werkes für Zwecke des Pastiches ermöglicht. Dann könnte der Fall erneut zum BGH oder direkt wieder zum EuGH gelangen.

Doch der Reihe nach…

In dem langjährigen Verfahren geht es um den Song „Metall auf Metall“ der Band Kraftwerk aus dem Jahr 1977. Die Sängerin Sabrina Setlur hatte 1997 mit Produzent Moses Pelham das Stück „nur mir“ eingespielt. Dazu kopierten sie eine zwei Sekunden lange Rhythmussequenz aus dem Song von Kraftwerk und wiederholten diese Sequenz im Hintergrund ihres eigenen Songs in fortlaufender Wiederholung.

Gegen diese Verwendung hatten die Mitglieder von Kraftwerk auf Unterlassung, Feststellung der Schadensersatzpflicht, Auskunftserteilung und Herausgabe der Tonträger zum Zweck der Vernichtung geklagt. Sie sehen ihre dem Urheberrecht verwandten Leistungsschutzrechte als Tonträgerhersteller aus § 85 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG) verletzt. Danach hat der Tonträgerhersteller

das ausschließliche Recht, den Tonträger zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen.

Laptop mit Sampler

Bislang war nicht abschließend geklärt, wie das Sampling urheberrechtlich zu bewerten ist. Der in Deutschland insofern wegweisende Rechtsstreit dauert nun bald 20 Jahre an und hat zu sechs nicht rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen geführt. Allein der BGH war dreimal mit der Sache befasst, einmal auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Nun war der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) also an der Reihe. Der BGH hatte ihm mehrere Fragen zur Verletzung der Rechte des Tonträgerherstellers durch Sampling vorgelegt (Beschl. v. 1. Juni 2017, Az. I ZR 115/16 – Metall auf Metall III). Nun hat der EuGH ein differenziertes Urteil gefällt (Urt. v. 29.07.2019, Az. C-476/17).

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Die Vorlagefragen des BGH – und die Antworten des EuGH

YouTube-Video: "Kraftwerk vs Moses Pelham - 20 Jahre Streit um 2 Sekunden Musik"
YouTube-Video: “Kraftwerk vs Moses Pelham – 20 Jahre Streit um 2 Sekunden Musik”

Die Fragen des BGH betrafen die Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG zum Urheberrecht und den verwandten Schutzrechten sowie der Richtlinie 2006/115/EG bzgl. des Vermiet- und Verleihrechts und zu verwandten Schutzrechten.

Eingriff in das Recht des Tonträgerherstellers ist möglich

Die erste Frage des BGH bezog sich darauf, ob durch das Sampling im Wege der Kopie eines Tonschnipsels überhaupt ein Eingriff in das Recht des Tonträgerherstellers zur Vervielfältigung und Verbreitung vorliegt.

Diese Frage hat der EuGH nun erst einmal grundsätzlich bejaht. Das Sampling könne eine urheberrechtsverletzende Vervielfältigung sein, welche die Rechte des Tonträgerherstellers verletzt. Dabei ist es nach Auffassung des EuGH erst einmal egal, ob das „geklaute“ Stück zwei Sekunden oder zwei Minuten dauert.

Kein Eingriff, wenn die Tonfolge im neuen Stück nicht erkennbar ist

Weiter stellte sich die Frage, ob ein Werk für Zitatzwecke genutzt wird – auch wenn überhaupt nicht erkennbar ist, dass ein fremdes Werk genutzt wird. In der Vorlagefrage des BGH klang es so, dass für Hörer nicht erkennbar sei, woher die Sequenz stamme.

Hierzu sagte der EuGH, dass in einem Fall, in dem das fremde Werk überhaupt nicht erkennbar ist, schon kein Eingriff in das Vervielfältigungsrecht vorliege und es überhaupt nicht mehr auf das Zitatrecht ankomme. Wenn man also nicht hört, dass es sich um ein Sample handelt, dann ist das schon keine Vervielfältigung. Das folge aus einer Abwägung zwischen dem Recht am geistigen Eigentum mit der Kunstfreiheit und dem Allgemeininteresse.

Ist die Tonfolge erkennbar, kann das Zitatrecht im Einzelfall greifen

Das Zitatrecht könne hingegen einschlägig sein, wenn die Sequenz erkennbar ist, so der EuGH. Die Erkennbarkeit sei umgekehrt eine Grundvoraussetzung des Zitats. Ein Zitat liege insbesondere vor, wenn das Sample das Ziel habe, mit dem Ursprungswerk zu interagieren. Bei der Frage, ob ein Sample unter die Zitierfreiheit fallen kann, sind letztlich auch künstlerisch-qualitative Aspekte relevant, die von den deutschen Gerichten geklärt werden müssen.

Das deutsche Recht der freien Benutzung aus § 24 UrhG verstößt gegen Unionsrecht!

Außerdem wollte der BGH wissen, ob eine nationale Regelung wie das Recht zur freien Benutzung in § 24 Abs. 1 UrhG das Recht des Tonträgerherstellers beschränken darf, indem selbstständige Werke in freier Benutzung ohne dessen Zustimmung verwertet werden dürfen. Das deutsche Urheberrecht sieht – bislang vor, dass ein

“selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, (…) ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden” kann.

Hierzu hat der EuGH kurzen Prozess gemacht und die deutsche Schrankenregelung für unvereinbar mit dem Unionsrecht erklärt. Das deutsche Recht zur freien Benutzung verstoße aufgrund der abschließenden Vorgaben der Urheberrechtsrichtlinie zu den Schrankenregelungen gegen Europarecht. Der Unionsgesetzgeber habe im EU-Urheberrecht bereits einen Ausgleich der Interessen der Nutzer, Urheber und Verwerter von Werken getroffen und hierzu bestimmte Ausnahmen geschaffen. Diese seien allerdings abschließend.

Welche Folgen dieser Aspekt des EuGH-Urteils haben wird, ist noch nicht abzusehen. Denn die freie Benutzung erlaubt eine viel weiter gehende Anlehnung an bestehende Werke als das Zitatrecht.

Deutschland hat keinen Spielraum, das Recht der Tonträgerhersteller auszugestalten

Darüber hinaus stellte der BGH die Frage, ob das BVerfG die Regelungen aus dem deutschen Urheberrecht, die aber auf den europäischen Richtlinien basieren, überhaupt individuell hätte auslegen dürfen – ob also „Umsetzungsspielräume im nationalen Recht“ bestünden. Denn das BVerfG selbst sagt, dass nationale Normen, die EU-Richtlinien ohne solche Spielräume umsetzen, nicht am Maßstab des GG, sondern allein am Unionsrecht zu messen sind.

Hierzu führte der EuGH aus, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich nationale Schutzstandards für die Grundrechte anwenden dürfen, sofern dadurch u. a. nicht das Schutzniveau der Charta beeinträchtigt werde. Dies sei aber nur möglich, wenn das Unionsrecht keine abschließenden Vorgaben mache. Genau dies sei hier aber der Fall gewesen. Das ausschließliche Vervielfältigungsrecht des Tonträgerherstellers sei vollständig harmonisiert, insofern verbleibe den Mitgliedstaaten kein Spielraum mehr.

Damit kam es nicht mehr auf die letzte Frage an, inwieweit bei der Bestimmung der Reichweite, Ausnahmen und Beschränkungen des Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechts des Tonträgerherstellers die EU-Grundrechte zu berücksichtigen sind. Damit hätte der EuGH anstelle des BVerfG die entsprechende Abwägung der europäischen Kunstfreiheit zum geistigen Eigentum vornehmen können.

Der Rechtsstreit geht weiter…

Für Moses Pelham und die Band Kraftwerk bedeutet dieses Urteil: Sie müssen weiter warten, bis die vom EuGH aufgeworfenen Fragen geklärt sind. Zunächst musste sich der BGH ein viertes Mal mit der Angelegenheit befassen.

Denn die Kriterien des EuGH sind schwierige Tatsachenfragen, die in grundsätzlich in einer entsprechenden vorherigen Instanz hätten geklärt werden müssen bzw. noch geklärt werden müssen – und der BGH kann nur über Rechtsfragen entscheiden.

Zunächst stellt sich nämlich die Frage, ob die Sequenz erkennbar ist oder nicht. Der BGH hat zwar bereits durchklingen lassen, dass er nicht von einer Wiedererkennbarkeit der Töne ausgeht, sodass der Fall möglicherweise bereits schon deshalb zugunsten von Kraftwerk ausgehen könnte. Allerdings ist unklar, auf wessen Urteil es hier ankommen soll – das der BGH-Richter oder das eines Musikexperten? Und es ist nicht klar, inwieweit diese Tatsachenfrage bereits zuvor abschließend geklärt wurde.

Nun hat der BGH das Verfahren noch einmal zurück an die Berufungsinstanz, das OLG Hamburg, verwiesen.

Die abschließende rechtliche Beurteilung in diesem Fall könnte dann erneut der BGH oder der EuGH treffen. Bis dahin aber kann noch einige Zeit vergehen.

Fest steht dabei nur eines: Das Verfahren über die zwei Sekunden Sampling dürfte in jedem Fall eine rekordverdächtige Länge bekommen.

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Was bisher geschah:

Der Generalanwalt sah den Fall noch anders

Generalanwalt Szpunar kam in seinen Schlussanträgen am 12. Dezember 2018 noch zu dem Ergebnis, dass das Sampling einen Eingriff in das ausschließliche Recht des Urhebers darstelle, wenn keine Erlaubnis vorliege. Allerdings würde durch das Sampling keine Kopie des ursprünglichen Werks hergestellt. Denn das Sampling diene nicht dazu, einen Tonträger herzustellen, der an die Stelle des ursprünglichen Tonträgers treten solle. Da die einzelnen Sampling-Töne weder die Gesamtheit noch einen wesentlichen Teil der Töne des ursprünglichen Tonträgers verkörpern, sei ein solcher Tonträger keine Kopie dieses anderen Tonträgers.

Daran schließt sich daran die Frage an, ob eine nationale Regelung wie das Recht zur freien Benutzung in § 24 Abs. 1 UrhG das Recht des Tonträgerherstellers beschränken darf, indem selbstständige Werke in freier Benutzung ohne dessen Zustimmung verwertet werden dürfen. Szpunar verneint dies, da das deutsche Recht die Urheber weniger schütze als EU-Recht dies tut. Auch die Ausnahme des Zitatrechts greife beim Sampling nicht.

Im Ergebnis bedeutet das, dass beim Sampling zwar keine Kopie des ursprünglichen Musikstücks entsteht, dennoch aber die rechtlichen Vorgaben entsprechend der einer Kopie anwendbar sein sollen. Nach Ansicht des EuGH-Generalanwalt bedarf es daher beim Sampling der Erlaubnis des Urhebers. Ansonsten stelle das Sampling einen Eingriff in das Recht des Urhebers dar.

Was die Zivilgerichte zum Sampling gesagt haben…

Das Landgericht (LG) Hamburg und das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg hatten zunächst der Band Kraftwerk Recht gegeben (Urt. v. 8.10.2004, Az. 308 O 90/99 und Urt. v. 07.06.2006, Az. 5 U 48/05).

Hiergegen legte Moses P. Revision zum BGH ein. Dieser entschied in „Metall auf Metall I“ ebenfalls, dass ein Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht durch das Sampling vorliege (Urt. v.  20.11. 2008, Az. I ZR 112/06).

Der BGH verwies die Sache aber an das OLG Hamburg zurück, weil dieses nicht geprüft habe, ob der Eingriff durch das Recht zur freien Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG gerechtfertigt sei. Das OLG Hamburg verneinte dies (mit Urt. v. 17.08. 2011, Az.5 U 48/05). § 24 Abs. 1 UrhG sei nicht einschlägig, weil es ihnen möglich gewesen sei, die aus dem Musikstück „Metall auf Metall“ entnommene Sequenz selbst einzuspielen.

Der BGH wies die hiergegen eingelegte Revision von Pelham in „Metall auf Metall II“ zurück (Urt. v. 13.12.2012, Az. I ZR 182/11), da er weiterhin einen Eingriff in Kraftwerks Rechte sah. Ein gegenteiliges Recht der kopierenden Künstler aus der in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Kunstfreiheit sahen die Bundesrichter nicht.

…und wie anders das BVerfG das Sampling sah

YouTube-Video: "Sampling: Bundesverfassungsgericht kippt Urteil der Vorinstanzen"
YouTube-Video: “Sampling: Bundesverfassungsgericht kippt Urteil der Vorinstanzen”

Moses P. wollte die Absage an ihre Kunstfreiheit nicht auf sich beruhen lassen und zog gemeinsam mit anderen Künstlern vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG).

Dieses wiederum sah die Kunstfreiheit durchaus als einschlägig und widersprach damit dem BGH. Die urheberrechtlichen Vorschriften § 85 Abs. 1 S. 1 UrhG und § 24 Abs. 1 UrhG seien so auszulegen, dass sie sowohl mit Art. 14 GG (Recht auf geistiges Eigentum) als auch mit Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar seien. Beim Sampling könnten daher die Verwertungsinteressen des Tonträgerherstellers unter Umständen zugunsten der Freiheit der künstlerischen Auseinandersetzung zurücktreten. So auch in diesem Fall – die bisherigen Gerichtsentscheidungen seien als Eingriff in die Kunstfreiheit zu werten.

Der Eingriff sei auch nicht gerechtfertigt. Es führe zu einer Rechtsunsicherheit, darauf abzustellen, ob das Sample nachgespielt oder kopiert worden sei. Dieser Unterschied sei schwer festzustellen. Außerdem erlitten die Hersteller bei der lizenzfreien Übernahme kleinster Rhythmussequenzen keine erheblichen wirtschaftlichen Nachteile. Und in ihr grundrechtlich geschütztes Eigentum werde nur geringfügig eingegriffen (Urt. v. 31.05.2016, Az. 1 BvR 1585/13). Mit dieser Begründung hob das BVerfG Urteile des BGH und des OLG auf und verwies die Sache erneut an den BGH.

Wir werden berichten.

ahe/tsp

(Zur Information: Der ursprüngliche Text wurde am 02. Juni 2017 veröffentlicht seitdem mehrmals aktualisiert.)