Ein langjähriger Jobcenter-Mitarbeiter stand im Verdacht, sich von zu Hause per PC einzustechen und erst Stunden später am Arbeitsplatz zu erscheinen. Nach einigen erfolgreichen Stichproben kündigte der Arbeitgeber ordentlich. Das LAG Mecklenburg-Vorpommern gab dem Jobcenter Recht und stellte dabei nochmals die Bedingungen für Verdachtskündigungen klar.

„Auffälliges Buchungsverhalten“ war es, das diesem Arbeitnehmer zum Verhängnis wurde. An drei aufeinanderfolgenden Tagen schaute die Teamleiterin vorbei – und zu jedem Zeitpunkt der Stichprobe war die Bürotür verschlossen; in der vereinbarten Gleitzeit eigentlich kein Problem, wäre da nicht die digitale Stechuhr, in die der Mitarbeiter sich teilweise bis zu 90 Minuten früher eingetragen hatte. Endgültig beweisen konnte es die Arbeitgeberin nicht – muss sie laut der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Mecklenburg-Vorpommern aber auch nicht. Der dringende Verdacht genüge als Grund für eine Kündigung, auch ohne Abmahnung (Urt. v. 28.03.2023, Az. 5 Sa 128/22).

Verdachtskündigungen sind keine neue Erfindung. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat bereits 2019 klargestellt, dass der Verdacht einer Pflichtverletzung ebenfalls ein „Grund in der Person des Arbeitnehmers“ sein kann (Urt. v. 31.01.2019, Az. 2 AZR 426/18). Ganz im Sinne des Arbeitnehmerschutzes sind die Hürden dafür allerdings reichlich hoch. Das LAG verdeutlicht das im vorliegenden Urteil und wägt vorsichtig ab, welches Verhalten dem Mitarbeiter nun wirklich zum Vorwurf gemacht wird.

Dann darf wegen Verdachts gekündigt werden

Das Gericht stellte klar, dass für eine wirksame Verdachtskündigung die höchstmöglichen Anforderungen gestellt werden müssten, die das Arbeitsrecht zu bieten hat: Und zwar die der außerordentlichen, fristlosen Kündigung. Ansonsten sei sie nach § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam. Im Fall der Verdachtskündigung bedeute das konkret: Der Verdacht müsse dringlich sein, der Arbeitgeber müsse Gelegenheit bekommen, sich zu erklären und die Pflichtverletzung müsste – auch wenn sie erwiesen wäre – einen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen.

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„Dringlich“ sei der Verdacht laut dem LAG, wenn er auf Tatsachen beruht, die der Arbeitgeber beweisen kann und er zudem besonders „dringend“ ist. Zweiteres sei der Fall, wenn die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Arbeitgeber richtig liegt, besonders hoch ist. In diesem Fall gab es neben den erfolgreichen Stichproben noch andere belastende Anhaltspunkte. Der Arbeitnehmer widersprach sich etwa bei der Anhörung, indem er behauptete, sich vor Ort per PC einzustechen, nachdem er sich dort umgezogen hat. Zeitlich passte dies allerdings nicht zusammen, sodass nur der Schluss nahe lag, dass er sich von zu Hause verfrüht eingeloggt hatte. Vermutlich am Arbeits-PC seiner Lebensgefährtin, die ebenfalls beim Jobcenter tätig war, allerdings überwiegend im Homeoffice. Hier unterschieden sich die Login-Zeitpunkte der beiden oft nur um wenige Minuten. Neben weiteren Anhaltspunkten sah das Gericht den Verdacht hier in der Tat als dringlich an.

Besonders schwerer Vertrauensbruch

Zudem müsse die Pflichtverletzung so schwer sein, dass sie, wenn sie für sich genommen erwiesen und nicht nur gemutmaßt würde, einen fristlosen Kündigungsgrund darstellen würde (§ 626 Abs. 1 BGB). Das heißt, dass die Verfehlung so schwer wiegen müsse, dass sie das Verhältnis zwischen den Parteien dermaßen stört, dass es dem Arbeitgeber nicht mehr zumutbar ist.

In der Entscheidung spielte vor allem die Gleitzeitregelung zwischen Jobcenter und Mitarbeiter eine Rolle. Der Arbeitgeber müsse bei einer solchen Vereinbarung darauf vertrauen können, dass die Arbeitszeit korrekt dokumentiert wird. Ein vorsätzlicher Verstoß würde dieses Vertrauen jedenfalls ausreichend erschüttern, da die Arbeitszeit ansonsten vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollieren sei.

Eine vorherige Abmahnung brauche es daher in diesem Fall nicht. Das Gericht stellte klar, dass der Arbeitgeber eine solche Täuschung, die zu einer in ihrem Ausmaß kaum bestimmbaren Vermögensschädigung führe, nicht hinnehmen müsse. Dies müsse dem Arbeitnehmer auch bewusst sein. Eine Gleitzeitregelung ist in den Augen der Gerichte ein starker Vertrauensvorschuss, den Arbeitnehmer durchaus ernst nehmen sollten. Insbesondere, wenn „nur“ der Verdacht bereits reicht, ist besondere Vorsicht geboten. Oder anders: With great power comes great responsibility.  

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