Der Spiegel-Artikel über den ehemaligen BILD-Chefredakteur Julian Reichelt „Vögeln, fördern, feuern“ darf wieder online gehen. Das Nachrichtenmagazin siegte nun vor dem OLG Hamburg – die Frage der Rechtmäßigkeit des Textes bleibt allerdings weiterhin offen.

Von © Superbass / CC BY-SA 4.0

Der Spiegel-Artikel „Vögeln, fördern, feuern“ erschien ursprünglich im März 2021 und berichtete über den Verdacht, der ehemalige BILD-Chefredakteur Julian Reichelt habe Machtmissbrauch gegenüber Frauen betrieben und Abhängigkeitsverhältnisse ausgenutzt. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg hat im daraus resultierten Rechtsstreit zwischen Reichelt und dem Spiegel nun zugunsten des Nachrichtenmagazins entschieden. Aufgrund einer hinzugefügten Stellungnahme verstoße der Bericht nicht mehr gegen die gegen den ursprünglichen Artikel erwirkte einstweilige Verfügung, so das Gericht (Beschl. v. 13.01.2022, Az. 7 W 148/21).

Unterlassungsverfügung gegen ursprünglichen Artikel

Reichelt ging nach der Veröffentlichung gegen den Artikel vor und beantragte eine Unterlassungsverfügung mit der Begründung, der Spiegel habe die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung verletzt. Die Grundsätze der Verdachtsberichtserstattung sind im Wesentlichen die folgenden Punkte: Es besteht ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit, es liegt ein Mindestbestand an Beweistatsachen vor, die journalistische Sorgfaltspflicht bei der Eigenrecherche wurde eingehalten – insbesondere hatte der Betroffene Gelegenheit zur Stellungnahme – und der Betroffene wird nicht vorverurteilt.

Das Landgericht (LG) Hamburg folgte Reichelts Argumentation, nach der davon auszugehen sei, dass ihm keine ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Vorwürfen gegeben worden war und verbot den Bericht (Beschl. v. 17.05.2021, Az. 324 O 162/21). Der Verlag habe zwar bei der Pressestelle des Axel-Springer-Verlages um Stellungnahme gebeten. Es sei aber davon auszugehen, dass diese nicht an Reichelt weitergeleitet worden sei. Wegen des Compliance-Verfahrens, dass der Axel-Springer-Verlag gegen Reichelt führte, sei eine solche Weiterleitung auch nicht selbstverständlich gewesen.

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LG untersagt auch Bericht mit Stellungnahme Reichelts

Der Spiegel ergänzte den Artikel anschließend um eine Stellungnahme Reichelts, in der dieser die Vorwürfe abstritt und ließ den Text weiterhin online. Nach Ansicht des Magazins wurde so nicht mehr gegen die einstweilige Verfügung verstoßen. Reichelt beantragte daraufhin ein Ordnungsgeld mit der Begründung, dass auch die veränderte Berichterstattung gegen die Unterlassungsverfügung verstoße. Das LG Hamburg stimmte dem zu und verhängte gegen den Spiegel ein Ordnungsgeld in Höhe von 2.000 Euro (Beschl. v. 15.11.2021, Az. 324 O 162/21). Daraufhin nahm das Magazin den Artikel offline.

Das LG begründete den Beschluss damit, dass der Artikel nicht nur wegen der unterbliebenen Stellungnahme verboten worden sei. Der um die Stellungnahme ergänzte Artikel sei weiter vom Verbot erfasst. Die ergänzen Passagen würden wertungsmäßig keinen relevanten Unterschied zu der Berichterstattung ausmachen, die mit der einstweiligen Verfügung untersagt worden sei. Im Artikel werde weiter unverändert über den gleichen Sachverhalt berichtet, nämlich den Vorwurf des Fehlverhaltens und des Machtmissbrauchs gegenüber Frauen.

OLG: Stellungnahme verändert Charakter des Berichts

Gegen den Beschluss hatte das Magazin sofortige Beschwerde beim Hanseatischen Oberlandesgericht eingelegt, die nun Erfolg hatte. Das Gericht hob den Ordnungsgeldbeschluss auf. Die Stellungnahme sei für die Berichterstattung ein maßgeblich charakterisierender Gesichtspunkt. Durch das Einfügen dieser entstehe im Kern ein neuer Bericht. Die einstweilige Verfügung des LG beziehe sich nur auf den ursprünglichen Bericht ohne Stellungnahme und nicht auf den neu entstandenen. Daher habe der Spiegel nicht gegen die einstweilige Verfügung verstoßen, als er den Bericht mit der Stellungnahme neu veröffentlichte.

Frage der Rechtmäßigkeit weiter offen

Die Entscheidung betrifft allerdings allein die formale Frage, ob die veränderte Berichterstattung unter die Unterlassungsverfügung fällt – nicht, ob diese rechtmäßig ist. Auch der veränderte Spiegel-Artikel könnte rechtswidrig sein, weil andere Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung nicht eingehalten worden sein könnten. Dies hatte das LG Hamburg in seiner einstweiligen Verfügung offengelassen.

Reichelt könnte nun eine neue einstweilige Verfügung gegen den veränderten Artikel beantragen oder ein Hauptsacheverfahren gegen den Artikel auf den Weg bringen. Ob er weiterhin gegen den Bericht vorgehen wird, bleibt abzuwarten.

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