Anfang des Jahres entschied ein Gericht: Wer die Online-Version von „Google Fonts“ – ein Verzeichnis von Schriftarten nutzt, kann damit gegen die DSGVO verstoßen. Dies machen sich jetzt einige Privatpersonen und nun auch Abmahnkanzleien wie brandt.legal zunutze und überziehen Webseitenbetreiber mit Schadensersatzforderungen. Ist das rechtens? Und wie können Betroffene reagieren?

In Deutschland gibt es rund 18 Millionen Webseiten mit einer .de-Endung. Unzählige von ihnen nutzen „Google Fonts“. Laut einem Gerichtsurteil aus diesem Jahr kann die Verwendung dieses Google Dienstes ohne vorherige Einwilligung der Webseitenbesucher einen Datenschutzverstoß darstellen. Folge: Das Gericht verurteilte den Webseitenbetreiber zur Unterlassung, Auskunft und zur Zahlung eines Schmerzensgeldes (Landgericht (LG) München, Urt. v. 20.01.2022, Az. 3 O 17493/20). Einige Privatpersonen nehmen dieses Urteil als Grundlage und verschicken eigene „Abmahnungen“ an zahlreiche Unternehmen. Darin fordern sie auch zur Zahlung von 100 Euro auf.

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„Google Fonts“ – was ist das überhaupt?

Bei „Google Fonts“ handelt es sich um ein interaktives Verzeichnis von diversen Schriftarten. Das Verzeichnis wird seit 2010 von der Google LLC zur Verfügung gestellt. Es beinhaltet bereits über 1000 verschiedene Schriftarten, die von Webseitenbetreibern auf der eigenen Internetseite eingebunden werden können. Die notwendigen Lizenzen zur Nutzung sind kostenfrei. Demensprechend beliebt ist die Nutzung von „Google Fonts“ bei Webseitenbetreibern, sodass die Schriftarten mittlerweile auf unzähligen Webseiten eingebunden sind.

Dabei sind zwei Verwendungsarten zu unterscheiden:

  1. Einerseits kann der Webseitenbetreiber sich eine Schriftart herunterladen und im eigenen Webspace eigenständig wieder hochladen. Bei Aufruf der Webseite lädt die Schriftart dann vom eigenen Speicherplatz aus, da sie lediglich lokal in die Internetseite eingebunden wird.
  2. Andererseits bietet Google LLC eine sog. dynamische Variante zur Nutzung von „Google Fonts“ an. Dabei wird die ausgesuchte Schriftart nicht lokal eingebunden. Stattdessen wird bei jedem Aufruf der Webseite eine Verbindung zu den Servern von Google aufgebaut, um die Schriftart zu laden und auszuspielen. Bei dem Verbindungsaufbau zu den Google-Servern wird die IP-Adresse des Webseitenbesuchers an Google übertragen.

Folgen einer rechtswidrigen Nutzung von „Google Fonts“

Die kostenfreie Nutzung diverser Schriftarten klingt zunächst verlockend, könnte den Betreibern der Webseiten nach dem Urteil des LG München I aber zum Verhängnis werden. Am 20.01.2022 urteilte dieses, dass einem Webseitenbesucher Ansprüche gegen eine Webseitenbetreiberin zustehen, die „Google Fonts“ im Rahmen der dynamischen Variante nutzte, ohne vorher die Einwilligung des Webseitenbesuchers eingeholt zu haben.

In dem zugrunde liegenden Verfahren besuchte der klagende Nutzer die Webseite der Beklagten und war verärgert, da seine IP-Adresse als personenbezogenes Datum über die Einbindung von „Google Fonts“ an Google weitergegeben worden war. Die Webseitenbetreiberin hatte die Schriftart dynamisch verwendet und über einen kleinen Quellcode-Schnipsel, sog. Code-Snippet, in den HTML-Code der Webseite eingebunden. Der Webseitenbesucher erhob Klage und machte Unterlassungs-, Auskunfts – und Schmerzensgeldansprüche geltend – mit Erfolg. Der Einwand der Webseitenbetreiberin, dass die Verwendung von „Google Fonts“ aufgrund seines berechtigten Interesses gerechtfertigt sei, drang nicht durch.

Das Landgericht urteilte vollumfänglich im Sinne des Klägers:

1. Die Webseitenbetreiberin habe es zu unterlassen, die IP-Adresse des Klägers, bei einem Aufruf der betriebenen Webseite, durch Bereitstellung einer „Google Fonts“- Schriftart gegenüber Google offenzulegen. Für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen diese Unterlassung sei ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro zu zahlen. Bei Nichtzahlung drohe sogar die Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten.

2. Zudem stehe dem Kläger auch ein Auskunftsanspruch gegen die Webseitenbetreiberin zu. Diese müsse offenlegen, ob personenbezogene Daten des Betroffenen verarbeitet würden. Ebenfalls auskunftspflichtig sei die Webseitenbetreiberin darüber, welche personenbezogenen Daten des Klägers gespeichert würden.

3. Schließlich stehe dem Kläger noch ein Anspruch auf Ersatz seines immateriellen Schadens zu. Dabei ging das Gericht davon aus, gerade die Offenlegung der IP-Adresse des Klägers gegenüber Google und der damit einhergehende Kontrollverlust rechtfertigten die Annahme eines immateriellen Schadens:

„Der damit verbundene Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist im Hinblick auf den Kontrollverlust des Klägers über ein personenbezogenes Datum an Google, ein Unternehmen, das bekanntermaßen Daten über seine Nutzer sammelt und das damit vom Kläger empfundene individuelle Unwohlsein so erheblich, dass ein Schadensersatzanspruch gerechtfertigt ist.“

Das Gericht sprach dem Kläger einen immateriellen Schadensersatz in Höhe von 100 Euro zuzüglich Zinsen zu.

Datenschutzrechtlicher Hintergrund

Hinsichtlich der geltenden datenschutzrechtlichen Vorgaben überrascht das Urteil nicht. Das Datenschutzrecht verfolgt im Allgemeinen zwei Anliegen:

Es geht um den Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten sowie um den freien Verkehr personenbezogener Daten zwischen Mitgliedstaaten. Das umfasst den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, insbesondere den Schutz der Privatsphäre natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten.

Jedem steht das Recht zu, selbst darüber zu entscheiden, wie freigiebig er mit seinen personenbezogenen Daten umgehen möchte. Von einem personenbezogenen Datum sprechen wir immer dann, wenn die hinter dem Datum stehende Person dadurch identifiziert oder jedenfalls identifizierbar gemacht wird. In Art 4 Nr. 1 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) wird eine Person als identifizierbar angesehen, 

„die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann“.

Um einen adäquaten Schutz zu gewähren, arbeitet die DSGVO mit einem sog. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Das bedeutet, dass die Verarbeitung von personenbezogenen Daten grundsätzlich verboten ist, es sei denn, es liegt eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage vor, die die Verarbeitung explizit gestattet. Die einzelnen Ermächtigungsgrundlagen finden sich in Art. 6 DSGVO.

Dazu gehören beispielsweise, die erforderliche Verarbeitung personenbezogener Daten aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung, die Verarbeitung aufgrund eines nachweisbaren berechtigten Interesses oder Verarbeitung auf Basis einer Einwilligung der betroffenen Person. Nur das Vorliegen einer solchen Ermächtigungsgrundlage berechtigt zur Verarbeitung von personenbezogenen Daten. Eine Verarbeitung ist jeder Vorgang im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten, beispielsweise das Erheben, Weiterleiten, Offenlegen, Speichern und Löschen.

Rechtswidrige Nutzung von Google Fonts

Die Webseitenbetreiberin nutzte hier die dynamische Einbindung von „Google Fonts“. Bei einem Aufruf der Webseite wurde daher die IP-Adresse des Webseitenbesuchers an Google übertragen. Die Übertragung ist eine Verarbeitung des personenbezogenen Datums IP-Adresse:

„Die dynamische IP-Adresse stellt für einen Webseitenbetreiber ein personenbezogenes Datum dar, denn der Webseitenbetreiber verfügt abstrakt über rechtliche Mittel, die vernünftigerweise eingesetzt werden könnten, um mithilfe Dritter, und zwar der zuständigen Behörde und des Internetzugangsanbieters, die betreffende Person anhand der gespeicherten IP-Adressen bestimmen zu lassen (BGH, Urteil vom 16.05.2017, Az. VI ZR 135/13). Dabei reicht es aus, dass für die Beklagte die abstrakte Möglichkeit der Bestimmbarkeit der Personen hinter der IP- Adresse besteht. Darauf, ob die Beklagte oder Google die konkrete Möglichkeit hat, die IP-Adresse mit dem Kläger zu verknüpfen, kommt es nicht an.“

In dem hiesigen Sachverhalt konnte die beklagte Webseitenbetreiberin keine der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen für sich in Anspruch nehmen.

Ein Vertragsverhältnis besteht zwischen der Webseitenbetreiberin und dem -besucher über den Webseitenaufruf grundsätzlich nicht. Eine Einwilligung des Webseitenbesuchers zur Weitergabe der IP-Adresse lag nicht vor.

Auch war die Verarbeitung nicht durch ein berechtigtes Interesse des Webseitenbetreibers im Sinne des Art. 6 Abs. 1 f DSGVO gerechtfertigt. Das Gericht stellte klar, dass ein berechtigtes Interesse schon daran scheitere, dass „Google Fonts“ auch lokal genutzt werden könne und die Weiterleitung somit unterbunden werden könne, ohne dass der Webseitenbetreiber auf die gewünschte Schriftart verzichten müsse. Eine eigene Verpflichtung des Webseitenbesuchers, seine IP-Adresse zu verschlüsseln, bestehe jedenfalls nicht.

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Abmahnungen als neues Geschäftsmodell

Vereinzelt haben sich Privatpersonen und nun auch Abmahnkanzleien wie brandt.legal dieses Urteil zunutze gemacht. Sie durchsuchen gezielt das Internet nach Webseiten, die „Google Fonts“ nutzen und sich dabei der dynamischen Variante bedienen.

Sie teilen den Webseitenbetreibern mit, dass sie bei dem Besuch der Webseite die Einbindung von Google Fonts bemerkt hätten und wegen der Weitergabe der IP-Adresse an Google nun größtes Unbehagen empfänden. Sie berufen sich auf das Urteil des Landgerichts München I und fordern die Webseitenbetreiber zur Entfernung der „Google Fonts“ aus. Zudem verlangen sie Auskunft über ihre gespeicherten Daten und deren Verwendung.

Damit sich das Ganze auch lohnt, erwarten sie zudem einen immateriellen Schadensersatz in Höhe von 100 Euro. Sie setzten eine den Betreibern der Seiten eine Frist und kündigen die Erhebung der Klage an, sollten sie keine Zahlung erhalten. Je mehr Webseitenbetreiber angeschrieben werden, desto lohnenswerter könnte sich dies für die Abmahnenden gestalten. Einige Webseitenbetreiber könnten sich durch das zitierte Urteil und die Möglichkeit, tatsächlich einen Datenschutzverstoß begangen zu haben, zu schnell auf diese Forderungen einlassen.

Auch Kanzleien scheinen die Abmahnflut unterstützen zu wollen. Sie erheben dieselben Ansprüche im Namen ihrer Mandanten und wollen darüber hinaus auch ihre Gebühren geltend machen. Außerdem fordern sie die Webseitenbetreiber auch zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf.

Wie sollten sich Webseitenbetreiber verhalten?

Webseitenbetreiber sollten nun dringend die Nutzung von Google Fonts auf ihren Internetseiten überprüfen. Sofern sie aktuell Google Fonts nutzen, sollte sie diese unverzüglich in eine lokale Nutzung abwandeln.

Optional gibt es auch die Möglichkeit, schon vor Aufbau der Webseite unter Verwendung der dynamischen Version von „Google Fonts“ eine Einwilligung des Webseitenbesuchers einzuholen – etwa mittels eines Consent-Tools.

Bei dem Erhalt einer Abmahnung sollten Betroffene auf anwaltliche Hilfe zurückgreifen. Den geforderten Betrag sollten sie zudem erst nach gründlicher Prüfung zahlen. 

Der tatsächliche Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Vorgaben löst zwar grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch aus, die Rechtsverletzung müssen Betroffene aber zunächst nachweisen. Die reine Behauptung der Verletzung von Datenschutzrecht reicht nicht aus. Sollte die IP-Adresse des Webseitenbesuchers bei der Übertragung an Google verschlüsselt gewesen sein, dann ist von dem Vorliegen eines datenschutzrechtlichen Verstoßes schon nicht mehr auszugehen.

Sollte sich herausstellen, dass eine Privatperson oder eine Abmahnkanzlei systematisch Webseiten gesucht hat, um sich zu bereichern, könnte das zudem gegen das Gebot von Treu und Glauben verstoßen. Dieses Gebot kann einer Rechtsdurchsetzung immer dann entgegenstehen, wenn primär sachfremde und nicht schutzwürdige Interessen verfolgt werden.

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