Eine EU-Richtlinie fordert den deutschen Gesetzgeber für den verstärkten Verbraucherschutz auf, bis Dezember 2022 eine Verbandsklage einzuführen, die auf Schadensersatz oder sonstige Abhilfe gerichtet ist. Damit soll diese über die bereits existierende Musterfeststellungsklage hinausgehen. Nun hat das Bundesjustizministerium einen Referentenentwurf vorgelegt.

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Bisher war die Musterfeststellungsklage als die „Eine-für-alle Klage“ bekannt. Damit sollte aber nur die Feststellung eines Rechtsverstoßes und gerade nicht die begehrte Leistung ermöglicht werden. Außerdem gibt es aktuell Abtretungsmodelle, wodurch in gewisser Weise ein kollektiver Rechtsschutz möglich ist. Was jedoch fehlt, ist eine echte, auf Leistung gerichtete „Sammelklage“. Genau das fordert jetzt aber die EU-Richtlinie 2020/1828. Konkret soll bis Dezember 2022 eine auf Schadensersatz oder sonstige Abhilfe gerichtete Verbandsklage eingeführt werden.

Die Richtlinie gibt dabei nur Mindeststandards vor, der deutsche Gesetzgeber kann also darüber hinausgehen. Dabei hat der Gesetzgeber Freiräume, die im Sinne der Verbraucher oder der Unternehmen genutzt werden können. Nach langem wissenschaftlichem Diskurs liegt nun, drei Monate vor Ablauf der Umsetzungsfrist, der Referentenentwurf zur neuen Verbandsklage vor.

Als Grundlage soll ein neues Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) dienen, in dem eine neue Verbandsklage ausgestaltet wird. Die bekannte Musterfeststellungsklage soll aus der Zivilprozessordnung (ZPO) gestrichen und ebenfalls in das VDuG eingeführt werden.

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Beitrittsvoraussetzungen

Der Verbandsklage kann man sich anschließen, indem man seinen Anspruch spätestens am Tag vor der ersten mündlichen Verhandlung im Verbandsklageregister anmeldet. Die Anmeldung ist einfach und kostenlos ausgestaltet, so dass der Verbraucher ohne Anwalt selbst, zum Beispiel per E-Mail, gegenüber dem Bundesamt für Justiz seinen Anspruch anmelden kann.

Damit folgt das sog. „Opt-in“ System demjenigen der Musterfeststellungsklage. „Opt-in“ bezeichnet – im Gegensatz zu dem amerikanischen „Opt-out“ Modell – ein ausdrückliches Zustimmungsverfahren.

Gleiches gilt für die Verjährungsthematik, wonach die Verjährung nur für diejenigen Verbraucher gehemmt sein soll, die ihren Anspruch rechtzeitig angemeldet haben.

Nachdem noch unsicher war, ob der Verbraucher auch noch zu einem späteren Zeitpunkt, wie zum Beispiel nach einem Vergleich, der Klage beitreten kann, wurde sich im Entwurf nunmehr für den früheren Zeitpunkt entschieden.

Die Verbandsklage soll zugunsten des Verbrauchers aber schon dann zulässig sein, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass mindestens 50 Verbraucher betroffen sind, ohne dass diese tatsächlich ihre Zustimmung erklärt haben.

Inhaltliche Anforderungen an die Verbraucheransprüche

Da es sich bei der Verbandsklage um ein Instrument zur Durchsetzung unmittelbarer Ansprüche handelt, bedarf es weitergehender Anforderungen als bei der Musterfeststellungsklage.

Die geltend gemachten Verbraucheransprüche müssen deshalb „gleichartig“ sein. Das soll schon dann der Fall sein, wenn eine „schablonenhafte Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch das Gericht“ möglich ist. Nicht hingegen, sobald es auf eine Einzelfallklärung ankomme. Beispielhaft kann der Fall der Entschädigung nach der Fluggastrechte-Verordnung angeführt werden, für den es für die Entschädigung gerade nicht auf individuelle Umstände der Passagiere desselben Fluges ankommt.

Die gestalterische Freiheit hat sich das Bundesjustizministerium auch insoweit zu Eigen gemacht, indem es – über die Mindestanforderungen der Richtlinie hinaus – das Verbandsklageverfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) auch für solche Streitigkeiten zwischen Verbraucher und Unternehmer vorsieht, die keinen EU-Bezug vorweisen. Ziel ist es, Abgrenzungsschwierigkeiten zu vermeiden, indem es nicht nur auf die Verletzung von Verbraucherschutzbestimmungen des EU-Rechts ankommt. Demnach können auch Ansprüche aus dem nationalen Deliktsrecht geltend gemacht werden.

Problematischer könnte die praktische Einbeziehung von kleinen Unternehmen sein. Nach dem Referentenentwurf sollen sich auch kleine Unternehmen der Klage durch bestimmte Verbände anschließen können. Erforderlich ist allerdings, dass die kleinen Unternehmen gleichermaßen betroffen sind, auch wenn die Abhilfeklage von einem Verbraucherverband erhoben wird. Fraglich ist aber, in welchen Fällen Verbraucher und Unternehmer in der Praxis gleichermaßen betroffen sein können, damit die geforderte Gleichartigkeit bejaht werden kann.

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Entlastende Praxis für die Justiz?

Der mit dem Masseverfahren angestrebte Effekt der Entlastung der Justiz kann ferner nur erreicht werden, wenn das gerichtliche Verfahren einfach gestaltet wird, aber die Interessen von Verbraucher und Unternehmer hinreichend gewürdigt werden. Das Verfahren soll nach dem Entwurf zweistufig ausgerichtet sein:

In einem ersten Schritt soll zunächst die grundsätzliche Berechtigung der Ansprüche durch das Gericht festgestellt werden. Bejaht es sie, kann es die Parteien zu einem Vergleich auffordern. Kommt dieser nicht zustande, wird das Verfahren fortgesetzt und per Urteil entschieden. Hier gibt es eine neue, bislang nicht im Zivilprozess vorgesehene Möglichkeit: Die Verurteilung zur Zahlung eines (vorläufigen) kollektiven Gesamtbetrags zu Händen eines Sachwalters. Reicht dieser Betrag nicht aus, kann er allerdings später auf Antrag erhöht werden.

In einem zweiten Schritt erst soll festgestellt werden, wer was erhält – hier erfolgt also die Verteilung konkreter Abhilfe mittels Umsetzungsverfahren. Hier hat das Justizministerium eine detaillierte Regelung geschaffen, durch die es keiner weiteren gesonderten Klage bedarf, wie es noch im VW-Dieselskandal der Fall war. Das Gericht bestellt einen Sachwalter, um die Anspruchsberechtigung individuell zu prüfen. Berechtige Zahlungsansprüche zahlt er aus dem Umsetzungsfonds. Reicht der für alle vorgesehene Gesamtbetrag nicht aus, kürzt er die Ansprüche anteilig – es sei denn, der klagende Verband kann erfolgreich eine nachträgliche Erhöhung des Gesamtbetrags verlangen.

Die Entscheidung des Sachwalters ist grundsätzlich abschließend und kann als solche nicht gerichtlich überprüft werden. Geht ein Verbraucher aber leer aus, hat er immer noch das Recht, seine Ansprüche individuell zu verfolgen. Auch die Unternehmen haben umgekehrt die Möglichkeit, den ausgezahlten Betrag mittels Individualklage zurückzufordern.