In einem überraschenden Urteil vom 25. Juni 2021 hatte das LAG Hessen entschieden, dass das Fehlen sogenannter „Soll-Angaben“ in einer Massenentlassungsanzeige zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung führe. Das sah das BAG nun anders und wies die Sache zur erneuten Entscheidung an das LAG zurück.

Arbeitgeber sind nicht dazu verpflichtet, in Massenentlassungsanzeigen gegenüber der Arbeitsagentur Angaben zu Geschlecht, Alter oder Staatsangehörigkeit zu machen, da diese sogenannten „Soll-Angaben“ nach dem Willen des Gesetzgebers nicht verpflichtend seien. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem aktuellen Urteil entschieden und damit Klarheit in einer bis dahin stark umstrittenen Rechtsfrage geschaffen (Urt. v. 19.05.2022, Az. 2 AZR 467/21).

Im konkreten Fall ging es um die betriebsbedingte Kündigung von 17 Arbeitnehmern in einem kleinen Betrieb mit insgesamt weniger als 60 Arbeitnehmern. Dagegen klagte eine Arbeitnehmerin mit der Begründung, ihre Kündigung sei nach § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig, weil in der Massenentlassungsanzeige die sogenannten „Soll-Angaben“ im Sinne von § 17 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) fehlten. Dies betraf beispielsweise Angaben zu Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer.

Hätte die Arbeitnehmerin damit Recht, wäre nicht nur ihre Kündigung, sondern die aller betroffenen Arbeitnehmer unwirksam gewesen.

Möchte ein Arbeitgeber eine größere Anzahl an Arbeitnehmern kündigen, hat er dies vorher bei der Agentur für Arbeit nach § 17 Abs. 1 und 2 KSchG und ggf. dem Betriebsrat anzuzeigen. § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG zählt die für eine solche Massenentlassungsanzeige erforderlichen „Muss-Angaben“ auf. Fehlen diese, folgt allein hieraus schon die Unwirksamkeit der Kündigung. Nach § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG sind zusätzlich sogenannte „Soll-Angaben“ zu tätigen. Bisher war allerdings unklar, ob allein das Fehlen dieser Angaben für sich genommen ebenfalls zur Unwirksamkeit einer Kündigung führt.

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LAG Hessen gab Kündigungsschutzklage statt

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen hatte im Juni vergangenen Jahres entschieden, dass Kündigungen allein schon durch das Fehlen der „Soll-Angaben“ in der Massenentlassungsanzeige unwirksam seien, sofern die Angaben nicht vor dem Zugang der Kündigung nachgeholt werden (Urt. v. 25.06.2021, Az. 14 Sa 1225/20). Begründet wurde dies mit einer richtlinienkonformen Auslegung der europäischen Massenentlassungsrichtlinie (MERL). Nach Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 3 MERL seien die „Soll-Angaben“ gemäß § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG nämlich ebenso wie die „Muss-Angaben“ als „zweckdienliche Angaben“ anzusehen und aus diesem Grund auch verpflichtend anzugeben. Da die Massenentlassungsanzeige vorliegend aber keine „Soll-Angaben“ enthielt, gab das LAG der Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin statt.

Neues BAG-Urteil: Differenzierung zwischen „Soll“ und „Muss“

Abweichend vom LAG entschied das BAG nun, dass allein das Fehlen von „Soll-Angaben“ bei einer Massenentlassungsanzeige nicht zur Nichtigkeit der ausgesprochenen Kündigung führe. Hierfür spreche der eindeutige Wille des Gesetzgebers, der zwischen „Muss“- und „Soll-Angaben“ differenziert. Daraus könne nach Ansicht der Richter geschlossen werden, dass „Soll-Angaben“ gerade nicht verpflichtend, sondern freiwillig seien.

Die richtlinienkonforme Auslegung der MERL durch das LAG sah das BAG zudem als unzulässig an. Denn die nationalen Gerichte dürften sich nicht im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung über gesetzgeberische Entscheidungen hinwegsetzen. Ein Blick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) stelle außerdem klar, dass die in § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG enthaltenen Angaben gemäß Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 MERL gerade nicht zwingend Teil der Anzeige sein müssten. Eine Vorlage dieser Frage zur Vorabentscheidung vor dem EuGH sei aus diesem Grund ebenfalls entbehrlich.

Ausblick für die Praxis

Das LAG-Urteil vom 25. Juni 2021 hatte zunächst in der Praxis zu großen Unsicherheiten geführt. Eine Verpflichtung zur Aufnahme der „Soll-Angaben“ in Massenentlassungsanzeigen war für Arbeitgeber mit einem gesteigerten Aufwand verbunden. Denn entsprechende Angaben liegen den Arbeitgebern meist nämlich nicht oder nur unvollständig vor, sodass aufwendige Nachforschungen getätigt werden mussten. Ein (durchaus schwieriger) Nachweis in einem Kündigungsschutzprozess, dass solche Angaben auch mit zumutbaren Nachforschungen nicht ermittelt werden konnten, ist nun nicht mehr notwendig.
Das neue BAG-Urteil garantiert damit wieder mehr Rechtssicherheit. So kann erneut auf den Hinweis im Anzeigeformular der Agentur für Arbeit vertraut werden, wonach die „Soll-Angaben“ nur freiwillig sind. Fehlen diese, können Massenentlassungsanzeigen also trotzdem wirksam sein.

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