Die Coronapandemie durchkreuzte die Reisepläne von tausenden Reisenden. Viele Urlauber machten dabei unerfreuliche Erfahrungen mit ihrem Reiseanbieter: Reisekosten wurden oft über Monate nicht zurückerstattet, viele warten immer noch auf ihr Geld. Eine Hürde für die Kunden ist dabei auch die zum Teil unklare Rechtslage. Nach einer lange erwarteten Entscheidung des BGH ist nun noch länger Geduld gefragt. Das Gericht entschied, zunächst den EuGH anzurufen, um europarechtliche Fragen zu klären.

In einem Vorlagebeschluss vom 02.08.2022 entschied der Bundesgerichtshof (BGH), ein Vorabentscheidungsersuchen zu der Frage an den EuGH zu richten, ob nach einem Reiserücktritt auftauchende Umstände den Anspruch des Veranstalters auf Stornogebühren entfallen lassen können (Az. X ZR 53/21).

Seit Anfang des Jahres 2020 nahm die Coronakrise auch in Japan an Fahrt auf. So waren Schutzmasken im ganzen Land ausverkauft, große Vergnügungsparks schlossen, sportliche Großveranstaltungen fanden nicht mehr oder nur noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Im Januar buchte ein Mann gleichwohl eine Pauschalreise vom 3. Bis 12. April 2020 zu einem Gesamtpreis von 6.148 Euro nach Japan. In den folgenden Wochen spitzte sich das Krisengeschehen weiter zu: Im Februar beschloss die japanische Regierung, für die kommenden Wochen sämtliche Großveranstaltungen komplett abzusagen. Einen Tag später wurde beschlossen, sämtliche Schulen bis mindestens Anfang April zu schließen.

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Kurz nach Rücktritt ergeht Einreiseverbot

Der Kunde trat daraufhin am 1. März 2020 von der Reise zurück. Der Anbieter berechnete Stornokosten in Höhe von insgesamt 1.537 Euro (25 % des Reisepreises), die der Kunde auch bezahlte. Am 26. März 2020 erging für Japan ein Einreiseverbot. Der Mann verlangte daraufhin die Rückzahlung des bereits geleisteten Betrags. Als der Veranstalter sich weigerte, zu zahlen, klagte der Kunde. Vor dem Amtsgericht (AG) München hatte er Erfolg: Das Gericht gab seiner Klage in voller Höhe statt und sprach ihm 1.537 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 255,85 Euro zu. Der Reiseveranstalter legte daraufhin Berufung beim Landgericht (LG) München ein, das den zu zahlenden Betrag auf 14,50 Euro zuzüglich vorgerichtlicher Kosten in Höhe von 83,54 Euro herabsetzte. Das wollte sich der Kunde nicht bieten lassen und zog vor den BGH nach Karlsruhe.

Dieser entschied jedoch nicht in der Sache, sondern legte zunächst dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mehrere Fragen zur Auslegung der maßgeblichen Normen vor.

Keine Stornogebühren bei außergewöhnlichen Umständen am Zielort

Der Hintergrund: Kern des Streits ist die Frage, ob dem Veranstalter hier Stornogebühren zustehen, die er von dem zu erstattenden Reisepreis abziehen darf. § 651h Abs. 1 BGB sieht einen solchen „Entschädigungsanspruch“ vor, wenn der Kunde vor Reiseantritt vom Reisevertrag zurücktritt. Einzige Ausnahme:  Am Zielort treten „unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände“ auf, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen“ (§ 651h Abs. 3 BGB). Unter Juristen ist umstritten, ob hier nur Umstände zu berücksichtigen sind, die bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts vorlagen, oder ob es auch auf nachträglich eingetretene Umstände ankommt. Da das Einreiseverbot im vorliegenden Fall erst nach dem Rücktritt erlassen wurde, war diese Frage wesentlich. Die Bundesrichter unter dem Vorsitz von Klaus Bacher machten deutlich, dass sie – anders als das LG – der Ansicht zuneigen, nach der auch nachträgliche Umstände zu berücksichtigen sind. Allerdings durften sie die Frage nicht entscheiden: § 651 dient der Umsetzung von Art. 12 der europäischen Pauschalreise-Richtlinie (RL (EU) Nr. 2015/2302). Als letztinstanzliches Gericht ist der BGH daher verpflichtet, die Streitfrage vom EuGH klären zu lassen. Daher fassten die Karlsruher Richter lediglich einen Vorlagebeschluss, in dem sie konkrete Fragen formulierten, die der EuGH beantworten soll.

Wie geht es nun weiter?

Mit einer Antwort des EuGH auf die vorgelegten Fragen ist erst in einigen Monaten zu rechnen. Sollte der EuGH sich der Tendenz der Bundesrichter anschließen, dass auch solche Umstände einen Anspruch auf Stornogebühren ausschließen, die erst nach dem Reiserücktritt eingetreten sind, wird der BGH abschließend zu Gunsten des Kunden entscheiden. Kommt der EuGH zum gegenteiligen Ergebnis, ist die Reise hingegen noch nicht zu Ende: Die Karlsruher Richter machten deutlich, dass sie die Sache in diesem Fall nochmal an das LG zurückverweisen würden. Dieses muss dann klären, ob wegen des großen Ausmaßes ungewöhnlicher Maßnahmen (Schulschließungen usw.), die zum Zeitpunkt des Rücktritts schon in Kraft waren, bereits völlig klar war, dass die Reise zum angestrebten Zeitpunkt nicht möglich sein würde. In dem Fall hätte der Kunde auch noch eine Chance, sein Geld zurückzubekommen. Alle Pauschalurlauber, die ihre Reise bei Ausbruch der Coronapandemie gekündigt haben, müssen sich bis zur Klärung der Rechtslage indes noch weiter gedulden.

jko