Selfies mit angekreuzten Wahlzetteln in den sozialen Netzwerken zu verbreiten, hat jetzt, anlässlich der bevorstehenden Europawahl am 26. Mai, wieder Hochkonjunktur. Doch ist das Posten von Fotos des Wahlzettels überhaupt erlaubt? Macht man sich vielleicht sogar strafbar? Und kann ein bei Instagram veröffentlichtes Wahl-Selfie gar die Wahl ungültig machen? Rechtsanwalt Christian Solmecke von der Kölner Kanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE klärt auf:

Kurz vor der letzten Bundestagswahl verbreitete Fernsehnacktpromi Micaela Schäfer über Instagram ein Foto, auf dem sie – mit einem Stringtanga bekleidet – neben einem gut sichtbaren ausgefüllten Stimmzettel für die Briefwahl liegt. Ihre damalige Wahl fiel auf die CDU, wie sie freigiebig ihrer Fangemeinde mitteilte. Angesichts solcher und anderer Postings entbrannte schon 2017 ein juristischer Streit über die Frage, ob Selfies mit ausgefüllten Wahlzetteln nicht sogar strafbar sein könnten. 

Ehemaliger Bundeswahlleiter 2017: Wahl-Selfies sind strafbar

Diese drastische Meinung jedenfalls vertrat der damalige Bundeswahlleiter – er stellte kurzerhand 42 Strafanzeigen gegen Personen, die ihre Wahlentscheidung in den sozialen Medien gepostet hatten. Dabei stütze er sich auf § 107 des Strafgesetzbuches (StGB), in dem es unter der Überschrift „Verletzung des Wahlgeheimnisses“ heißt:

Wer einer dem Schutz des Wahlgeheimnisses dienenden Vorschrift in der Absicht zuwiderhandelt, sich oder einem anderen Kenntnis davon zu verschaffen, wie jemand gewählt hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Hintergrund dieser Strafnorm ist also das Wahlgeheimnis bzw. der Grundsatz der geheimen Wahl. Dieser ist in verschiedenen deutschen wie europäischen Gesetzen geregelt. Das Wahlgeheimnis soll sicherstellen, dass keiner erfährt, für wen gestimmt wurde. Das dient erst einmal dem Schutz des wählenden Bürgers vor dem Staat bzw. anderen, die ihn einschüchtern und beeinflussen könnten. Außerdem sollen andere Wähler davor geschützt werden, durch die Preisgabe fremder Wahlentscheidungen bei ihrer eigenen Stimmabgabe beeinflusst zu werden. Um das Wahlgeheimnis zu schützen, gibt es z.B. Wahlkabinen und gefaltete Umschläge bei der Wahl vor Ort sowie verschlossene Briefe für die Briefwahl.

Weil das Wahlgeheimnis also auch davor schützt, dass die eigene Wahlentscheidung öffentlich wird, war der Bundeswahlleiter damals der Ansicht, dass es auch strafbar ist, ein Foto des eigenen Wahlzettels zu veröffentlichen. „Jemand“ in § 107 StGB könne schließlich auch die wählende Person selbst sein. Zumindest werde das Wahlgeheimnis verletzt, während die Wahl gerade stattfindet und andere noch beeinflusst werden können. Etwas anderes gelte vor und nach der Wahlhandlung – dann dürfe das Stimmverhalten offenbart werden, heißt es noch heute (seit 2017 wohl unverändert) auf der Website des Bundeswahlleiters zum Thema „Wahlgeheimnis“.

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Staatsanwaltschaft Hessen 2018: Wahl-Selfies sind nicht strafbar

Die hessische Staatsanwaltschaft in Wiesbaden prüfte tatsächlich über mehrere Monate, ob hier wirklich ein Straftatbestand erfüllt sei. Am Ende verneinte sie die Frage und stellte die 42 Verfahren dann im März 2018 ein. Strafbar sei es nur, die Wahlentscheidung eines anderen zu veröffentlichen, nicht aber die eigene. „Jemand“ in § 107c StGB könne nur eine dritte Person sein.

Diese Entscheidung kam nicht überraschend. Schaut man in die juristischen Kommentare, so sprechen sie alle davon, dass nur die Veröffentlichung fremder Wahlentscheidungen nicht erlaubt sein soll, wohl aber die eigene. Auch das Bundesinnenministerium hatte schon 2017 diese Ansicht öffentlich vertreten. Etwas anderes wäre auch trotz des Wahlgeheimnisses mit der Meinungsfreiheit schwer vereinbar.

Können Selfie-Fans jetzt aufatmen?

Nein. Tatsächlich ist das Posten der eigenen Wahlentscheidung nicht immer unproblematisch. Denn tatsächlich gibt es in vielen Wahlordnungen inzwischen ein Verbot, in Wahlkabinen zu fotografieren – als Reaktion auf die vielen Wahlkabinen-Selfies. Seit 2017 gilt es für Bundestagswahlen (§ 56 Bundeswahlordnung), auch manche Landeswahlordnungen sehen inzwischen solche Verbote vor. 2018 hat der Gesetzgeber dann die Regelungen aus der Bundeswahlordnung im Wesentlichen in die Europawahlordnung (EuWO) übernommen. Seitdem heißt es in § 49 Absatz 2 Satz 2 EuWO* ausdrücklich, dass in der Wahlkabine nicht fotografiert werden darf. Wer dennoch beim Selfie-Knipsen erwischt wird, muss „zurückgewiesen“ werden. Das bedeutet, dass man seinen Wahlzettel nicht mehr abgeben darf. Allerdings heißt das nicht, dass der Wähler dann von der Wahl ausgeschlossen wird – dafür ist das Wahlrecht zu fest in der verfassungsmäßigen Ordnung verankert – vielmehr erhält der Wähler auf Verlangen einen neuen Wahlzettel, den er dann ordnungsgemäß auszufüllen hat.

Und was bedeutet das nun für Selfies mit dem Wahlzettel auf der Couch, die man per Brief abschicken will? Nichts. Für die Briefwahl gibt es keine entsprechende Vorschrift, die eine geheime Wahl durchsetzt. Die abgegebene Stimme wird also nicht für ungültig erklärt. Trotzdem sollte man es sich lieber zweimal überlegen, ob es wirklich sinnvoll ist, seine eigene Wahlentscheidung noch vor Sonntag, 18 Uhr, öffentlich in die sozialen Medien zu posten. Denn das Wahlgeheimnis gibt es ja tatsächlich nicht ohne Grund.

ahe

In einer früheren Version wurde irrtümlich auf das Europawahlgesetz (EuWG) verwiesen. Wir haben den Fehler korrigiert.