Ein digitaler Nachlass ist Teil des Erbes. Dieses Grundsatzurteil hatte der BGH am 12. Juli 2018 gefällt. Kläger waren die Eltern eines 15-jährigen Mädchens, das 2012 verstorben war. Sie erhofften sich, mehr über die Umstände des Todes ihrer Tochter zu erfahren. Der BGH gab ihnen Recht. Facebook gewährte den Eltern nach dem Urteil jedoch nicht direkten Zugriff auf das Konto der Tochter, sondern schickte ihnen einen USB-Stick mit einem umfangreichen PDF-Dokument. Nun setzten die Karlsruher mit einem aktuellen Beschluss noch einen drauf. Die Eltern müssen direkten Zugang zum Konto ihrer Tochter erhalten. 

Die Erben eines Verstorbenen müssen, was ihren Zugang zum digitalen Erbe angeht, gleiche Einsicht in dessen Facebook-Konto erhalten wie dieser selbst zu Lebzeiten. Dies entschied der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Beschluss zum digitalen Nachlass (Beschl. v. 27. 08. 2020, Az. III ZB 30/20). Im Juli 2018 hatten die Bundesrichter in einem Grundsatzurteil (Urt. v. 21. Juni 2018, Az. III ZR 183/17) erstmals klargestellt, dass auch der digitale Nachlass zum Erbe gehöre. Geklagt hatten die Eltern einer 15-jährigen Berlinerin, die 2012 in einem U-Bahnhof ums Leben gekommen war. Durch den Zugriff auf die Social Media-Konten der Tochter wollten sie mehr über Ursache und Umstände ihres Todes erfahren. So war zum Beispiel fraglich, ob die Tochter bei einem Unfall gestorben war oder Selbstmord begangen hatte. Weitere Hintergrundinformationen zum Urteil finden Sie hier.

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BGH-Grundsatzurteil: Analoges Erbe steht digitalem Erbe gleich

In letzter Instanz stellten die Bundesrichter klar, dass den Eltern ein Zugriffsrecht zustehe. Der Anspruch ergebe sich aus dem Nutzungsvertrag zwischen der verstorbenen Tochter und Facebook. Dieser sei im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf die Erben übergegangen. Dessen Vererblichkeit sei nicht durch die vertraglichen Bestimmungen ausgeschlossen. Auch aus das Wesen des Nutzungsvertrags spreche nicht dagegen, dass das Vertragsverhältnis vererblich sei. Aus dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Kommunikationspartner ergebe sich kein höchstpersönlicher Charakter des Nutzungsvertrags. Zwar mag der Abschluss eines Nutzungsvertrags mit dem Betreiber eines sozialen Netzwerks in der Erwartung erfolgen, dass die Nachrichten zwischen den Teilnehmern des Netzwerks jedenfalls grundsätzlich vertraulich bleiben und nicht durch die Beklagte dritten Personen gegenüber offengelegt werden. Die vertragliche Verpflichtung Facebooks zur Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und sonstigen Inhalten sei jedoch von vornherein kontobezogen. Sie habe nicht zum Inhalt, diese an eine bestimmte Person zu übermitteln, sondern an das angegebene Benutzerkonto. Der Absender einer Nachricht könne dementsprechend zwar darauf vertrauen, dass Facebook sie nur für das von ihm ausgewählte Benutzerkonto zur Verfügung stellt. Es bestehe aber kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass nur der Kontoinhaber und nicht Dritte von dem Kontoinhalt Kenntnis erlangen. Zu Lebzeiten müsse mit einem Missbrauch des Zugangs durch Dritte oder mit der Zugangsgewährung seitens des Kontoberechtigten gerechnet werden und bei dessen Tod mit der Vererbung des Vertragsverhältnisses.

Zudem, so argumentierte der BGH, würden analoge Dokumente wie Tagebücher und persönliche Briefe ebenfalls vererbt, wie aus § 2047 Abs. 2 und § 2373 Satz 2 BGB zu schließen sei. Es bestehe aus erbrechtlicher Sicht kein Grund dafür, digitale Inhalte anders zu behandeln.

KG Berlin entschied noch zugunsten von Facebook

Das Landgericht (LG) Berlin hatte ursprünglich ebenfalls zugunsten der Mutter entschieden (Urteil vom 17.12.2015, Az. 20 O 172/15). Das Kammergericht (KG) Berlin gab in zweiter Instanz dagegen Facebook Recht und wies die Klage ab. (Urt. v. 31.05. 2017, Az. 21 U 9/16). Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses stehe dem Anspruch der Erben entgegen, Einsicht in die Kommunikation der Tochter mit Dritten zu erhalten.

Facebook stellte sich weiterhin quer

Trotz des BGH-Urteils zugunsten der Eltern stellte sich Facebook als beklagte Partei aber weiterhin quer. Statt den Eltern unmittelbar Einsicht in das Konto der Tochter zu gewähren, bekamen diese von der Plattform einen USB-Stick mit einem 14000 PDF-Seiten umfassenden Dokument zugesandt. Darin waren die gesamten Aktivitäten der Tochter auf ihrem Facebook-Benutzerkonto aufgeführt – einschließlich aller Nachrichten, Fotos und Posts.

Die Eltern sahen es als unzumutbar an, dieses umfangreiche Dokumente vollständig zu sichten, um mehr über den Tod der Tochter herauszufinden. Sie gingen erneut gerichtlich gegen Facebook vor, um direkt auf den Facebook-Account der Tochter zugreifen zu können. Der BGH gab ihnen erneut Recht und konkretisierte sein Grundsatzurteil von 2018.

Er legte den Begriff “Zugang” in seiner Entscheidung folgendermaßen aus: Die müssten Erben müssten in den Herrschaftsbereich des Kontos “hineingehen” können. Eine bloße Übermittlung der Inhalte werde dieser Auslegung nicht gerecht. Als Begründung stützte sich der BGH dabei auch auf die Universalsukzession der Erben nach § 1922 BGB. Mit dem Tod des Erblassers treten die Erben demnach in alle seine Rechte und Pflichten ein. Genauso wie der Erblasser zu Lebzeiten müssten sie also Einsicht in das Facebook-Konto erhalten. Allerdings dürften sie das Konto nicht aktiv nutzen.

Nun bleibt abzuwarten, ob und wie Facebook sein Verhalten in Zukunft ändern wird.

mle