Der BGH hat in einer lange umstrittenen Rechtsfrage Position bezogen: Parteien können ihre Gestaltungsrechte wie etwa Widerruf, Kündigung oder Rücktritt auch später in einem laufenden Zivilprozess vorbringen. Sie werden dann immer noch vom Gericht – gerade auch in der Berufungsinstanz – berücksichtigt. Zwar zwingt das Zivilprozessrecht normalerweise, alles so früh wie möglich vorzutragen. Doch es soll niemanden dazu zwingen, früher als man möchte zu entscheiden, ob man ein bestehendes Rechtsverhältnis tatsächlich verändern möchte. Diese Urteil hat immense Auswirkungen auf die Prozessführung. 

Auch nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz kann eine Partei noch den Widerruf erklären. Die verspätete Ausübung des sog. Gestaltungsrechts (also eines Rechts, auf ein bestehendes Rechtsverhältnis gestaltend einzuwirken) hat nicht zur Folge, dass er sich in der Berufungsinstanz nicht mehr darauf berufen kann. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem nun bekannt gewordenen Urteil entschieden (Urt. v. 16.10.2018, Az. VIII ZR 212/17).

Worum geht es rechtlich?

In dem Fall ging es um die Besonderheit im Zivilprozess. Die Parteien eines Rechtsstreits im Zivilprozess sind dafür verantwortlich, alle Tatsachen und Beweise für diese, alle Gestaltungsrechte und prozessuales Vorbringen selbst vorzutragen. Nur Rechtsausführungen können sie, müssen sie aber nicht zwingend vorbringen, da hier das Gericht selbst beurteilt.

Die müssen sie außerdem vollständig und rechtzeitig tun. Denn in § 531 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist die sog. Präklusion. Geregelt, die besagt, dass Parteien normalerweise alle Angriffs- und Verteidigungsmittel bereits in der ersten Instanz geltend machen müssen – sonst können sie sich in der nächsten, also der Berufungsinstanz nicht mehr darauf berufen. Der Sinn dahinter: Die nächste Instanz soll zwar Fehler der ersten korrigieren, ist jedoch nicht dazu da, um das Verfahren noch einmal aus völlig anderer rechtlicher Perspektive zu bewerten. Daher werden in der Regel neue Vorträge einer Partei in der nächsten Instanz nicht mehr berücksichtigt.

Ausnahmen von diesem Grundsatz bestehen aber, wenn die Richter der ersten Instanz etwas erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten haben, wenn ein Verfahrensmangel vorliegt, wenn die Partei es nicht aus Nachlässigkeit versäumt hat, alles rechtzeitig vorzutragen oder wenn die Parteien sich über das neue Vorbringen einig sind.

Was genau hat der BGH entschieden?

Der BGH hat sich zu einer lang umstrittenen Rechtsfrage positioniert. Nun gilt, dass die Ausübung von Gestaltungsrechten nicht präkludieren kann, also überhaupt nicht unter diese ZPO-Vorschrift fällt. Dies ist auch nachvollziehbar. Denn Gestaltungsrechte geben jemandem das Recht, zu einem beliebigen Zeitpunkt zu entscheiden, ob man einen bestehenden Vertrag z.B. widerrufen, kündigen, davon zurückzutreten, ihn (unter zeitlichen Einschränkungen) anfechten will. Es soll allein vom Willen des Berechtigten abhängen, wann die von der Ausübung des Rechts ausgelöste Rechtsfolge eintreten soll. Dieses Recht darf nicht durch das Zivilprozessrecht beschränkt werden, sodass eine Partei nur, weil gerade ein Gerichtsverfahren läuft, ein Gestaltungsrecht nicht mehr ausüben kann. Denn der Zweck der Präklusionsvorschriften in der ZPO ist es nicht, eine Partei dazu zu zwingen, sich so schnell wie möglich zu einer Entscheidung zu zwingen.

Nun ist es zwar so, dass man das Gestaltungsrecht selbst unabhängig von einem Prozess ausüben kann – doch häufig müssen Tatsachen und Beweise vorgebracht werden, um zu untermauern, dass man auch tatsächlich das Recht hat, zu widerrufen bzw. zu kündigen. Dieses Vorbringen ist nach dem BGH durchaus an den Präklusionsvorschriften der ZPO zu bemessen. Allerdings ändert dies in der Praxis meist nichts, weil das Vorbringen trotzdem meist zulässig ist. Denn der BGH sagt hierzu deutlich: Es ist nicht nachlässig, wenn die Partei ihr Gestaltungsrecht erst untermauert, nachdem sie es ausgeübt hat.

Konsequenzen dieses Urteils

In dem Fall ging es zwar einen Kaufvertrag über ein Wohnmobil und die Frage, ob der Käufer auch später noch einen Widerruf aus dem Verbraucherschutzrecht geltend machen konnte. Doch die Entscheidung hat zur Folge, dass man auch alle anderen Gestaltungsrechte wie auch die Kündigung, den Rücktritt und die Anfechtung wohl immer ausüben kann, egal, in welcher Instanz man sich in einem gerichtlichen Verfahren befindet. Und solange man sich noch in einer Instanz befindet, in der Beweise berücksichtigt werden (was in der Revision nicht der Fall ist), kann man diese Rechte auch untermauern.

Diese Argumentation gilt dann auch für alle anderen Vorschriften in der ZPO, nach denen z.B. Vorbringen wegen Verspätung zurückgewiesen werden kann. Es ist sogar möglich, dass dies dazu führt, dass ein Gericht nach Ausübung eines Gestaltungsrecht nach der mündlichen Verhandlung, aber noch vor der Urteilsverkündung dergestalt berücksichtigen muss, dass es eine neue mündliche Verhandlung ansetzen muss, bevor es sein Urteil verkündet. So können unnötig teure Berufungsverfahren verhindert werden.


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