Gewerkschaften wie Verdi dürfen unter bestimmten Bedingungen auf dem Betriebsgelände ihres Tarifgegners streiken und Mitarbeiter ansprechen. Das hat das BVerfG entschieden. Damit hat Verdi einen beachtlichen Erfolg errungen.

Per Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Amazons Begehren eine Absage erteilt. Die Gewerkschaft Verdi durfte auf den Betriebsgeländen des Online-Riesen Amazon in den Arbeitskampf gehen. Dies verletze nicht die Rechte Amazons, so das BVerfG und nahm daher beide Verfassungsbeschwerden Amazons nicht zur Entscheidung an (BVerfG, Beschluss vom 09.07.2020,  Az. 1 BvR 719/19 u. 1 BvR 720/19).

Ob der Beschluss des BVerfG und das vorherige Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) tatsächlich weit über den konkreten Fall hinaus reichen werden, wird sich zeigen. Zwar unterhalten auch andere Unternehmen zum Beispiel große Parkplätze auf ihren Firmengeländen, doch dies allein dürfte für eine Rechtmäßigkeit nicht ausreichend sein.

Streik als Druckmittel

Seit 2014/2015 kommt es u.a. bei Amazon zu gewerkschaftlich initiierten Streiks. Die Gewerkschaft Verdi zielt auf Anerkennungstarifverträge dieser Arbeitgeber für die einschlägigen Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels. Da Amazon keinem Arbeitgeberverband angehört, muss Verdi direkt mit Amazon verhandeln. Amazon zahlt seine Beschäftigten bisher in der Form, wie es dem Tarifvertrag für die Logistikbranche entspricht. Verdi indes hält den Tarifvertrag für den Versandhandel, der bessere Löhne vorsieht, für passender. Um den Druck auf Amazon zu erhöhen, initiierte Verdi Ende 2014 in Gondorf bei Koblenz sowie im September 2015 in Pforzheim bei Stuttgart Streiks auf Amazons Firmengelände. Verdi wollte jeweils zum Schichtwechsel die arbeitswillige Mehrheit der Beschäftigten von der Teilnahme am Streik überzeugen. An einzelnen Streiktagen versammelten sich daher Vertreterinnen und Vertreter Verdis mit den streikenden Beschäftigten kurz vor Schichtbeginn auf dem Betriebsparkplatz. Dieser ist sehr groß und durch Schilder als Privatgrundstück gekennzeichnet. Er befindet sich direkt vor dem Haupteingang des Betriebs, der nur über den Parkplatz erreicht werden kann, und wird aufgrund der außerörtlichen Lage auch von fast allen Beschäftigten genutzt. Verdi argumentierte, dass es keine Alternative gegeben hätte, um mit den Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen.

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BVerfG bestätigt BAG: Verdi durfte auf Amazon-Betriebsgelände streiken

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied bereits im November 2018 nach Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen, dass die Streikmaßnahmen auf dem Amazon-Firmengelände hinzunehmen seien. Allerdings sei dies „kein Freibrief für jedwede gewerkschaftliche Aktion“, so das BAG. Im konkreten Fall jedoch habe Amazon als Arbeitgeber eine kurzzeitige, situative Inanspruchnahme geringer Flächen des Firmenparkplatzes hinzunehmen gehabt (BAG, 20.11.2018, Az. 1 AZR 189/17).

Das BVerfG befand nun ebenfalls, dass Amazon durch Streikmaßnahmen auch auf dem Firmenparkplatz unmittelbar vor dem Betrieb nicht in seinen Grundrechten auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) und unternehmerische Handlungsfreiheit (Art. 12 Abs.1 GG) verletzt werde. Verdi sei als Gewerkschaft auf die Möglichkeit angewiesen, Beschäftigte ansprechen zu können, um ihre in Art. 9  Abs. 3 Grundgesetz (GG) geschützte Koalitionsfreiheit auszuüben.

Das Bundesarbeitsgericht stellte dabei zentral darauf ab, dass die Gewerkschaft ihre Rechte überhaupt wahrnehmen können muss. Zum Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG gehöre daher auch die persönliche Ansprache der Arbeitswilligen vor Antritt der Arbeit, um sie zum Streik mobilisieren zu können. Amazon müsse die damit verbundene Einschränkung seiner Rechte hinnehmen. Das BAG habe insoweit geprüft, ob andere Möglichkeiten bestanden, den Streik durchzuführen. Wenn das Gericht hier unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände zu der Überzeugung gelangte, dass die konkret auf eine Arbeitskampfmaßnahme bezogene Ansprache Arbeitswilliger nur auf dem Betriebsparkplatz möglich sei, sei das verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, so die Verfassungsrichter. Damit würden die Grundrechte der Gewerkschaft nicht einseitig privilegiert.

Insbesondere müsse das Eigentumsrecht Amazons nicht vollständig zurücktreten. Das BAG habe vielmehr darauf abgestellt, dass die Aktivitäten der Gewerkschaft in engem zeitlichen Zusammenhang zur Ansprache der arbeitswilligen Beschäftigten stehen müssten. Dabei musste das BAG der Gewerkschaft auch nicht vorwerfen, keine Streikgasse gebildet zu haben. Der Platzbedarf von den in einem Verfahren genannten 65 Personen könne im Verhältnis zu einer ebenfalls genannten Parkplatzfläche von nahezu 30.000 Quadratmetern keine Beeinträchtigung erzeugen, die Amazon ihre Grundrechte insbesondere aus Art. 14 Abs. 1 GG nehmen würde. Vielmehr hätten Arbeitswillige auf dem Betriebsparkplatz weiter ihr Fahrzeug abstellen und an ihren Arbeitsplatz gelangen können.

tsp