Der Gesetzgeber hat beim Erlass des neuen Bußgeldkataloges Ende April 2020 das Zitiergebot missachtet. Damit ist dieser verfassungswidrig. Zahlreiche Bußgeldbescheide, die seitdem erlassen wurden, sind rechtswidrig. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CDU) hatte die Verkehrsminister der Länder aufgefordert, die alten Sanktionen wieder anzuwenden. Dem kamen nun 14 der 16 Bundesländer nach. Die wichtigsten Infos zur Aussetzung des neuen Bußgeldkatalogs bekommen Sie hier.

Die am 28. April 2020 in Kraft getretene StVO-Novelle enthält einen Formfehler. Auf diesen hatte der ADAC bereits am Mittwoch, den 1. 7. 2020, aufmerksam gemacht. Die Folge: Die Ende April in Kraft getretenen neuen Bußgeldbestimmungen im Straßenverkehr sind nicht anzuwenden. Viele Bußgeldbescheide, die nach dem 28. April 2020 ausgestellt wurden, werden damit rechtswidrig. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CDU) reagierte unmittelbar auf den Skandal. In einer Videokonferenz mit den Verkehrsministern der Länder forderte er von diesen, die neuen Regelungen auszusetzen und wieder nach dem alten Bußgeldkatalog zu sanktionieren. Dies wurde in Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt sowie Schleswig-Holstein kurzerhand in die Tat umgesetzt. So richtete zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen das Düsseldorfer Innenministerium einen Erlass an die Bußgeldstellen und Polizeibehörden, den alten Bußgeldkatalog nicht mehr anzuwenden. Haben Sie auf der Grundlage des neuen Bußgeldkatalogs bereits einen Bußgeldbescheid erhalten, sollten Sie Einspruch dagegen einlegen. Je nach Verfahrensstand haben Sie außerdem weitere vielfältige Möglichkeiten, um sich zu wehren. Wir informieren Sie gerne über Ihre Handlungsoptionen.

Zu den Hintergründen

Es gibt einen Formulierungsfehler in der neuen StVO-Verordnung. Das sog. verfassungsrechtliche Zitiergebot aus Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG wurde missachtet.  Danach muss die Ermächtigungsgrundlage für eine Verordnung vollständig benannt werden.

Die Verordnung bezieht sich mit der Zitierung von § 26a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StVG aber nur auf die Ermächtigungsgrundlagen für das Erlassen von Vorschriften über Verwarngelder und Regelgeldbußen – nicht aber auf die Vorschriften zu Fahrverboten. Dafür hätte die Verordnung auch auf § 26a Abs.1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) verweisen müssen.

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Wir sind bekannt aus

Folgende neue Tatbestände in der StVO-Verordnung sind damit ungültig und können nicht mit einem Fahrverbot belegt werden:

  • Geschwindigkeitsüberschreitungen von 21 km/h bis 30 km/h innerorts
  • Geschwindigkeitsüberschreitungen von 26 km/h bis 40 km/h außerorts
  • nicht bildende Rettungsgasse als Grundtatbestand (somit ohne Behinderung/ohne Gefährdung)
  • Befahren der Rettungsgasse durch unbefugte (alle Tatbestände)
  • gefährliches Abbiegen

Einen Verstoß gegen das Zitiergebot hält das Bundesverfassungsgericht für so schwerwiegend, dass er regelmäßig die Nichtigkeit der gesamten Verordnung zur Folge hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 06. Juli 1999 – 2 BvF 3/90).

Aufgrund der engen Wechselwirkung von Fahrverbot und Geldbuße ist nicht lediglich von einer Teilnichtigkeit der Verordnung bezüglich der Fahrverbote auszugehen. Einer Teilnichtigkeit steht der Grundsatz der Rechtssicherheit entgegen. Es darf keine Rechtsunsicherheit darüber bestehen, welche Teile der Verordnung wirksam sind und welche nicht. Somit ist von einer Nichtigkeit der gesamten Verordnung auszugehen. Dies hat zur Folge, dass sämtliche Bußgeldbescheide für Verstöße ab dem 28.04.2020 rechtswidrig sind.

Was bedeutet das für Betroffene im Bußgeldverfahren?

Je nachdem in welcher Phase des Bußgeldverfahrens Sie sich befinden, haben Sie nun verschiedene Möglichkeiten, sich zu wehren.

  • Haben Sie einen Anhörungsbogen erhalten, liegt es in der Verantwortung der zuständigen Bußgeldstelle nun auf die Nichtigkeit der Regelungen in der neuen StVO-Novelle zu reagieren. In 12 der 16 Bundesländer erfolgt dies. Allerdings dürfen auch in den restlichen vier Bundesländern nur noch die ursprünglichen Bußgeldvorschriften angewandt werden.
  • Haben Sie bereits einen Bußgeldbescheid erhalten, sollten Sie innerhalb der Frist von 14 Tagen dagegen Einspruch einlegen. Daneben können Sie auch die Aufhebung des gegen Sie verhängten Fahrverbotes fordern.
  • Wurde im Bußgeldverfahren bereits rechtskräftig über Ihren Fall entschieden, haben Sie das verhängte Fahrverbot allerdings noch nicht angetreten, können Sie bei der Bußgeldstelle einen Vollstreckungsaufschub verlangen.
  • Ist das Bußgeldverfahren dagegen schon rechtskräftig abgeschlossen und wurde Ihnen bereits Ihr Führerschein abgenommen, haben Sie die Möglichkeit, mit einem so genannten Gnadengesuch die Aufhebung der Entscheidung im Bußgeldverfahren zu beantragen. Dabei können Sie auch die Herausgabe Ihres Führerscheins fordern.

Wie geht es weiter?

Die aktuelle StVO-Novelle kann nicht einfach um den fehlenden Verweis auf die Ermächtigungsgrundlage ergänzt werden. Es muss nochmals das komplette Gesetzgebungsverfahren durchlaufen werden. Verkehrsminsiter Andreas Scheuer hatte bereits im Mai angekündigt, den neuen Bußgeldkatalog wieder kippen zu wollen. Es ist also wahrscheinlich, dass nicht lediglich der Formfehler korrigiert sondern ein wiederum neuer – möglicherweise milderer Bußgeldkatalog – kommen wird.

Wir werden Sie zu den aktuellen Entwicklungen der Gesetzgebung auf dem Laufenden halten. Kontaktieren Sie unser erfahrenes Team aus Verkehrsrechtsanwälten unter 0221 / 951 563 0 (Beratung bundesweit). Wir helfen Ihnen schnell, fundiert und auf den Punkt.

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